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FÜRS LEBEN GERN

Seit Berufskraftfahrerin Evi Dawids das Kipperfahren für sich entdeckte, ist sie sich sicher – das ist hundertprozentig das, was sie machen will.

Was bitte ist ein „Erdnuggl“? „Mit dem Schild kam vor ein paar Jahren mein liebster ehemaliger Kollege Torsten um die Ecke, als ich in den reinen Baustellenverkehr wechselte und nur noch Aushub fuhr. Ein Erdnuckel ist, wie ich, ein eher klein gewachsener Mensch. Außerdem würde ich ja nun im Dreck rumwühlen, also passe das, meinte er“, erklärt Evi Dawids lachend. Inzwischen fährt sie für ihren neuen Arbeitgeber, Baisch Transporte aus Stuttgart, auch wieder Sand, Kies, Steine und anderes Schüttgut. Das Schild hat trotzdem seinen Ehrenplatz hinter der Frontscheibe auf der Beifahrerseite behalten.

Es ist 6:00 Uhr am Morgen. Evi ist die erste, die mit ihrem Kippsattelzug vor dem Waagenhaus des Steinbruchs der Firma Baresel in Ehningen ansteht. Denn, wer zuerst kommt, mahlt zuerst – aber zuallererst gibt’s beim Wiegemeister einen Kaffee, den passenden Klatsch dazu und dann die Dispo des Tages. Ein Rundlauf für eine Baustelle steht an, eine eher unspektakuläre Aufgabe. Ihre Touren führen sie hauptsächlich im südlichen Baden-Württemberg herum.

„Plötzlich war er wieder da, mein Traum, den ich schon fast vergessen hatte.“

Evi, die eigentlich Evelyn heißt, die aber niemand so nennt, ist 51 Jahre alt und seit 15 Jahren Berufskraftfahrerin. „Ich habe von diesem Beruf geträumt, mir aber nie träumen lassen, dass ich ihn tatsächlich mal ausübe.“ Fahrzeuge hatten es ihr schon immer angetan und als junges Mädchen, Anfang der 80er Jahre, wollte sie am liebsten eine Ausbildung zur Automechanikerin machen. Doch dafür hätte sie von ihrem Heimatort Rudersberg im Rems-Murr-Kreis nach Stuttgart umziehen müssen. „Meine Oma wohnte dort, aber meine Mutter hatte so große Sorge um ihr kleines Nesthäkchen in der großen Stadt, dass sie es nicht erlaubt hat.“ Evi lernte Bäckereifachverkäuferin, heiratete kurz nach der Lehre, bekam ihre Tochter und ihren Sohn und jobbte später alles Mögliche.

„Mit Mitte dreißig dachte ich mir, das kann’s nicht sein und erkundigte mich beim Arbeitsamt nach einer Umschulung. Büro, oder so.“ Doch dort sagte man ihr Bürostellen seien Mangelware. Aber ob sie sich vielleicht vorstellen könnte, Berufskraftfahrerin zu werden, das sei gefragt. „Und plötzlich war er wieder da, mein Traum, den ich schon fast vergessen hatte.“ Evis Mundwinkel umspielt ein Lächeln, als sie ihren kirschroten Arocs 1848 zwischen riesigen Gesteinsbergen hindurch über den weitläufigen Lagerplatz lenkt.

Noch erhellen nur die Lichter der Lkw und Arbeitsmaschinen die Ladestelle. Die Zugmaschine schaukelt und von jenseits der Rückwand dringt lautes Rumpeln in die Kabine, während der mächtige Radlader die erste Fuhre des Tages in die große Schmitz-Kippmulde schaufelt. Edelsplitt, gebrochene Steine zwischen 50 und 150 Millimeter Größe. Das Material, „Schroppen“ genannt, wird als Drainageschicht oder Unterbau für Bodenplatten verwendet.

So auch auf der Baustelle gegenüber des Daimler-Werks in Böblingen-Hulb, wo die kurze Tour die Kippsattelfahrerin hinführt. Dort lädt sie die Steine ab und nimmt Aushub mit zurück. Im Steinbruch wird die Erde dazu verwendet, die Löcher vom Abbau wieder zu verfüllen. Evi klettert auf den Balkon, die Plattform mit Geländer an der Stirnseite der Kippmulde, und beobachtet die Arbeit des Baggerfahrers. Per Handzeichen dirigiert sie ihn an die passende Stelle, damit er die dicken Dreckbrocken, die aus der Schaufel poltern, möglichst gleichmäßig in dem Auflieger verteilt. Danach gräbt der Arocs sich, unter Zuhilfenahme von hydraulischem Zusatzantrieb, Differenzialsperre und manueller Schaltung, geräuschvoll durch den lehmigen Matsch in der Baugrube zurück auf die Straße.

„Das Kipperfahren ist hundertprozentig das, was ich machen will.

Die ersten neun Jahre ihrer Karriere am Lenkrad steuerte sie übrigens keinen Lkw, sondern einen Reisebus. „In der Umschulung war zu der Zeit noch alles enthalten. Bus, Lkw, ADR, Stapler. Das dauerte 22 Monate, zwölf davon im Praktikum. Danach ergab sich das Busfahren als erstes Angebot. Da habe ich eben das gemacht. War auch eine schöne Zeit“, erinnert sie sich. Nach Nizza, Cannes, Barcelona, Prag und an viele weitere internationale Ziele gondelte sie mit ihrer „lebendigen Ladung“.

Über einen kleinen Zwischenstopp auf einem Planensattel im Werksverkehr und einem Silozug kam sie vor drei Jahren in einer größeren Baustoffspedition an. „Eigentlich sollte ich dort auch Silo fahren, aber dann war gerade ein Kipper nötiger und die Evi hat halt mal gemacht“, sie schmunzelt. „Quasi zur Begrüßung musste ich auf der allerersten Baustelle, die ich je befuhr, gleich Kies verziehen. Ich hatte natürlich keinen Plan, woher auch, und sagte das ganz ehrlich dem Kapo und den anderen Fahrern, die dort abluden. Die meinten, schau uns erstmal zu, der Kapo gibt dir Signale und dann wird das. Was soll ich sagen, es klappte und ich schaffte fünf Touren an dem Tag. Der Disponent fiel fast vom Hocker. Ich war unglaublich stolz auf mich und wusste ab da, das Kipperfahren ist hundertprozentig das, was ich machen will. So ist es geblieben.“

Zweihundertprozentig perfekt findet Evi ihren Job seit Mai dieses Jahres. „Ich bin ein familiärer Mensch und dachte darüber nach, ob ich nicht vielleicht besser in eine kleinere Firma passe, in der es etwas persönlicher zugeht. Als ich den Tipp bekam, Baisch suche jemand, wurde ich hellhörig. Ich rief an und schon am Telefon war die Chemie mit meinem Chef einfach super.“ Uwe Baisch, der als Enkel des Firmengründers das Unternehmen in dritter Generation führt, beguckte sich die Bewerberin bei einem Besuch auf dem Speditionshof. „Das war nett, nicht nur er war da, sondern gleich die ganze Family rückte an und schaute, wer da kommt. So hatte ich mir das vorgestellt!“

Sie strahlt über das ganze Gesicht als sie das erzählt und ergänzt, dass sie, obwohl sie keinen ihrer jetzigen Kollegen vorher kannte, sich nicht einen Augenblick lang wie „die Neue“ vorkam. Einziger Wehmutstropfen: Ex-Kollege Torsten „Torti“, der ihr, das betont sie, alles beibrachte, was man als Kipperfahrer braucht, musste sein „Erdnuggl“ ziehen lassen. Zum Glück treffen die zwei sich im Kieswerk noch in schöner Regelmäßigkeit.

„Wenn sie das wollen, können Frauen diesen Beruf genauso gut meister

Überhaupt scheinen Kipper-Kollegen ganz gut miteinander zu können, hört man die Gesprächsfetzen, die unterwegs über den Funk knarzen – kernige Sprüche mit leicht eigentümlichem Humor, ganz schön frech aber mindestens genau so herzlich. Evi kontert den Herren gelassen und grinst: „Ja, ein bisschen besonders ist diese Branche wohl. Aber ich mag das.“ Schade sei nur, dass nicht mehr Frauen wüssten, wie toll dieser Beruf sei. Wer sich als Frau fürs Fahren begeistern könne, aber sich noch nicht ganz traue, soll es doch unbedingt mal ausprobieren.

Gerade im Kipper-Bereich, wo ein Vorteil ist, dass man zum Beispiel nicht selbst laden muss. Stimmt, sogar das Abladen flutscht, ohne dass Material kleben bleiben würde, das man abkratzen müsste, denn Evis Mulde ist mit Kunststoffboden ausgekleidet. Vorführeffekt – beim letzten Abkippen bleibt ein dicker Klumpen Erde an den Tritten der Muldenstirnwand hängen, weil sich dort ein Stein verkeilt hat. Sie muss in die Mulde klettern und mit der Schaufel nachhelfen. „Ja, okay, ich hab’ bei meiner alten Stahlmulde auch schon mal zwei Tonnen festgefrorenen Sand von Hand abgeladen. Aber da kämpften auch die Kollegen ganz schön. Mehrheitlich ist dieser Job nicht „schwerer“ als andere Berufe und auch Frauen können ihn sehr gut meistern, wenn sie das wollen!“

Auf den Heimweg zum Hof nimmt Evi noch eine Ladung feinen Kies für einen Baustoffhändler um die Ecke mit und steuert den Arocs dann ein letztes Mal für heute durch die obligatorische Reifenwaschanlage des Werks. „Da muss ich nachher erstmal noch mit dem Dampfstrahler hinterher, das Ding wäscht zwar schön die Räder, aber verspritzt nach oben die ganze Hütte“, grummelt sie kurz. Bevor sie wieder lächelt und Gas gibt Richtung Heimat.

Fotos & Text: Sandra Moser

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